Frage an Claude AnShin Thomas:
Was denkst Du über Sexualität? Es scheint mir eine Energie zu sein, die einen Nutzen hat, mit der wir aber unfähig sind, gut umzugehen, gut zu recht zu kommen.
Erwiderung:
Dieses Thema ist für die meisten Menschen kompliziert. Diese Energie, die sexuelle Energie genannt wird, ist in allen organisierten Gesellschaften – nicht nur den westlichen, sondern insgesamt – sehr falsch verstanden worden. Denn häufig geht es da gar nicht um sexuelle Energie. Häufig geschieht etwas ganz anderes, etwas, das dann in sexuelle Energie übersetzt wird, z.B. Unsicherheit, Angst, Wut, Verwirrung. Es gibt sehr viele Illusionen zu der Mystik der Sexualität. Wir sind von jeder Art von authentischem, sexuellem Kontakt so weit entfernt, dass es schwierig ist zu wissen, was es denn ist.
Das ist ähnlich wie mit dem Thema „Liebe”. Fast alle Geschäftigkeit, die wir „Liebe” nennen, ist einfach nur verrauchte Illusion. Das, wonach wir zu suchen scheinen, ist etwas, das sicher und fest ist. Etwas, das ruhig ist. Wir suchen nach etwas oder jemandem, der oder die sich um uns kümmert. Da ist die Angst, allein zu sein; die Angst zu glauben, dass man nicht gut genug ist; all diese Ängste, all diese Anspannungen und Sorgen, und eben dieser starke Drang danach, eine Art sozialen Vertrag zu erfüllen. „Ich sollte verliebt sein. Ich sollte einen Partner haben. Und ich sollte sexuell aktiv sein. Wenn ich diese Dinge nicht tue, dann ist bei mir etwas schräg. Ich bin fehlerhaft.”
Nur weil wir eine Beziehung haben und sie zusammen halten, bedeutet das nicht, dass es dabei um Liebe geht. Es ist wichtig zu wissen, dass Liebe nicht ein einziges Gesicht hat. Und das sexuelle Energie sich nicht nur in einer ganz bestimmten Art und Weise ausdrückt. Wenn wir diese zwei miteinander vermischen, bauen wir daraus Bomben. Wie viele Familien haben wir, in denen es nur einen Elternteil gibt? Wie viele zurückgelassene Kinder gibt es? Das ist ein Resultat daraus, dass diese Themen wie „Liebe, Sexualität und Beziehungen” mit keinerlei Klarheit angegangen werden. Am Ende leiden die Kinder. Auf diese Art und Weise halten wir die Kreisläufe des Leidens am Leben. Ich kann nur entdecken, was Liebe ist, indem ich mein Konditioniertsein aufgebe.
Das ist ein großartiges Thema für die Meditation: Nicht zu reagieren, wenn ich das fühle, von dem ich glaube, dass es eine große, sexuelle Anziehung ist, aber statt dessen zu sitzen. Ein- und auszuatmen mit genau dieser Energie, und mir die Frage zu stellen: „Was passiert eigentlich gerade wirklich? Worum geht es dabei?”
Ich weiß aus meinem Leben, dass als ich durch das Leiden meines Lebens am stärksten beeinträchtigt und mir dessen gleichzeitig nicht bewusst war, dies die Zeit war, in der ich sexuell am aktivsten war. Wenn ich eine Frau sah, hatte ich diese ganz intensiven Gefühle, und sagte mir: „Oh, ja, ich bin verliebt.” Um diese Liebe etwas Wirkliches werden zu lassen, brauchte ich die sexuelle Vereinigung. Was dabei aber tatsächlich geschah war, dass ich zutiefst verängstigt war, und die sexuelle Vereinigung eine Art und Weise war, keinerlei Nähe zuzulassen. Sexuelle Vereinigung hat nichts mit Nähe zu tun.
Die aller intimsten Beziehungen, die ich in der Lage bin zu schaffen, haben sehr wenig mit diesen allgemein verständlichen Ideen von Liebe oder Sexualität zu tun. Z.B. ist Roger ein Schüler von mir. Ich könnte gar nicht tiefer mit einem anderen menschlichen Wesen verbunden sein. Ich könnte ein anderes Wesen gar nicht mehr lieben. Ich könnte nicht mehr von mir anbieten. Und ich habe keinerlei Pläne, Roger zu heiraten! Ich habe keine Ambitionen, eine sexuelle Beziehung zu ihm zu haben! Das ist nicht das Thema.
In den frühen 80-ern, als ich begann, damit zu arbeiten, machte ich eine Therapie bei einem Psychiater. Alle 2, 3 Wochen oder ein mal im Monat kam ich zu ihm und erzählte von der nächsten, wahren Liebe. Wie tief ich davon bewegt war und wie stark ich mich angezogen fühlte. Wie stark ich mich hingezogen fühlte. Nach ca. 6 Monaten kam ich wieder mit der nächsten Seelenpartnerin hin, mit dieser tiefen Herzensverbindung. Er schaute mich an und sagte: „Du kannst dir wahrscheinlich vorstellen, dass, ganz gleich wer von dir stark angezogen ist, das wahrscheinlich die unglücklichste Person ist, mit der du Kontakt haben könntest.”
Mich hat das zutiefst beleidigt und ich war schockiert. Tatsächlich hatte er absolut Recht gehabt. Ich habe mich an seine Worte gehalten. Das gab mir die Möglichkeit, diesen Kreislauf des Leidens nicht zu wiederholen. Es ist ein wichtiges Thema. Und es ist wichtig darüber zu sprechen, weil über dieses Thema innerhalb der Gesellschaft nicht gesprochen wird.
Wir können jedoch mit keinerlei Klarheit darüber sprechen, wenn wir nicht anfangen, das auch in unserem eigenen Leben zu regeln. Was es in unserem Leben bedeutet.
Die nächsten zehn bis zwölf Jahre habe ich allein verbracht. Bevor ich überhaupt eine gesunde Beziehung zu anderen Menschen aufbauen konnte, musste ich zunächst lernen, allein leben zu können, so dass ich die andere Person nicht dafür benutzte, die Stärke und die Intensität der Gefühle abzuwiegeln. Es geschieht häufig so, dass, wenn jemand anderes da ist, ich immer die andere Person auffordern kann, mich zu retten. Ich kann die andere Person dazu benutzen, ihr die Schuld zu geben. Ich hatte gewöhnlich dieses Muster. Wenn ich eine Beziehung zu jemandem hatte, mit der ich besser keine Beziehung gehabt hätte – und wir uns gestritten haben, so wurden diese Streitereien und Kämpfe schließlich damit beendet, dass wir Sex hatten. Sex und Gewalt sind innerhalb unserer Gesellschaft stark miteinander verbunden. Kann ich Beziehungen herstellen mit Menschen als Menschen? Nicht als Objekte, um meine Bedürfnisse zu befriedigen?
Diese Punkte gelten für uns alle. Ich bin da nicht einzigartig oder ich war da nicht einzigartig.
Und ich sage dir, die ungesündesten Orte, die ich bezüglich dieser Themen erlebt habe, sind Klöster. Das ist kein Witz. Dort wird über nichts in dieser Art gesprochen. Man hüllt sich einfach in einen Umhang der Heiligkeit, und dann werden diese ganzen ungesunden sexuellen Energien und die Beziehungsenergien überall ausagiert. In dem ersten Kloster, in dem ich gelebt habe, brachte ich eine Nonne von einem Ort zum nächsten, und sie lud mich sexuell ein. In einer indirekten Art und Weise. Du weißt, wie das geht, wenn man fragt, ohne wirklich zu fragen. Denn, wenn dann jemand „nein“ sagt, kann man sich immer sagen: „Ach, ich hab ja nicht wirklich gefragt.“ Bei all dem geht es darum, dass man nicht klar ist.
Ja, Gewalt, Sex, Liebe, Geld, das sind ganz entscheidende Themen, über die es zu sprechen gilt und über die nicht gesprochen wird. Es ist wichtig darüber zu sprechen, weil über dieses Thema innerhalb der Gesellschaft nicht gesprochen wird. Wir können jedoch mit keinerlei Klarheit darüber sprechen, wenn wir nicht anfangen, das auch in unserem eigenen Leben zu regeln. Wenn wir nicht herausfinden, was dieses Thema in unserem Leben bedeutet.