Zen, Nationalismus und Krieg
Claude AnShin Thomas
Während der vergangenen Wochen las ich das Buch „Zen, Nationalismus und Krieg“ von Brian Victoria. Ich wurde zum ersten Mal auf dieses Buch aufmerksam, als ich, beteiligt an einer spirituellen Pilgerwanderung, durch Amerika ging, von Yonkers, New York nach San Francisco, Kalifornien. Der Titel weckte meine Neugier, da ich selber während der letzten 37 Jahre ein Student des Zen gewesen bin, zudem bin ich voll ordinierter Zen-buddhistischer Mönch in der Soto Zen Tradition und, seit fünf Jahren, auch ordiniert im Zen Peacemaker Orden, welcher von Bernie (Biasen Tetsugen) Glassman Roshi gegründet wurde. Außerdem ist Glassman Roshi, nach meinem besten Wissen, der einzige direkte Dharma Nachfolger von Maezumi Hakuyu Taizan in den USA. Ich füge diese Information ein, weil Maezumis Name in diesem Buch erwähnt wird, gemeinsam mit dem von Philip Kapleau, als prominente Mitglieder in der Linie des Zen Meisters Harada Daiun Sogaku (Harada Roshi). Harada Roshi wird als einer der „glühendsten Unterstützer der japanischen Kriegspolitik“ genannt. Ich war auch am Titel dieses Buches interessiert, weil meine ersten 27 Jahre Zen Studien solche in den Kriegstraditionen waren, mein eigener Militärdienst und meine Beziehung zu diesem Dienst. Das Buch interessierte mich außerdem wegen meines völligen Befremdens anlässlich meiner kürzlichen Begegnungen sowohl mit einigen Zen Studenten als auch mit einigen Studierenden anderer buddhistischer Traditionen, bei der Entdeckung, dass sie ihrem Glauben an die Handlung des mitfühlenden Tötens oder an die Befreiung der Seele durch den Akt des Tötens durch einen erleuchteten Meister Ausdruck verliehen. Ein weiterer Grund für mich, dieses Buch zu lesen, war die Anfrage eines Freundes von mir, der für dieses Magazin schreibt.
Als ich begann, dieses Buch zu lesen, empfand ich es als schwere Kost und konnte nur ungefähr zwanzig Seiten auf einmal lesen. Schwere Kost, weil ich fand die Wahrheit, die dieses Buch präsentierte, unglaublich dicht, unglaublich machtvoll. Zudem fand ich den Mut des Autors, in diese Aspekte der buddhistischen Traditionen hineinzuschauen und sie aufzudecken, unglaublich erhebend. Zum ersten Mal seit geraumer Zeit fühlte ich eine Verwandtschaft mit jemandem, der nicht von Werten gefangen oder verzehrt war, die so untilgbar in die institutionalisierten Repräsentationen der spirituellen Lehre eingeätzt schienen. In diesem Fall, japanischer Zen Buddhismus.
Viele Fragen, die ich stellte, fanden einige Antworten durch Brian Victorias sorgfältige Untersuchung und seine Kühnheit, dieses Werk zu veröffentlichen. Zugleich fühlte ich mich erhoben durch seine endlosen Beispiele, mit denen er vorführt und anspricht, welche Abtrennung Hand in Hand mit der Realität der Institutionalisierung einhergeht.
Eine interessante Anmerkung: Als Brian Victoria Zen Student in Japan war, und als er gegen den Vietnamkrieg demonstrierte, war ich ein Soldat, der in diesem Krieg kämpfte. Ich diente in Vietnam in den Jahren 1966 und 1967 als Kommandant einer Hubschrauberbesatzung.
Nachdem ich als junger Mensch durch die nationalistische US-Ideologie von der Rechtmäßigkeit des Krieges indoktriniert worden war, nachdem ich dann im Militär gedient (freiwillig und auf Geheiß meines Vaters) und in einem Krieg gekämpft hatte (freiwillig und beeinflusst von den Erzählungen meines Vaters und seiner Freunde, die ebenfalls gekämpft hatten im zweiten Weltkrieg und/oder in Korea), verstand ich diese Geisteshaltungen, die in „Zen, Nationalismus und Krieg“ so klar erläutert werden.
Aufgewachsen in einer christlichen Kultur, die für einen Glauben eintritt, der in den zehn Geboten wurzelt, die von Moses überbracht wurden. Mit dem fünften Gebot, DU SOLLST NICHT TÖTEN. Die institutionelle Antwort auf dieses Gebot, mit der ich aufwuchs, wurde in dieser Weise verstanden und erklärt: mit der Ausnahme, dass die Regierung oder der Staat von dir verlangt, zu töten. Es war hier, genau an diesem Punkt, dass ich anfing, obwohl zu Beginn nicht so klar, die Macht des intellektuellen Selbst zu verstehen, die Macht des intellektuellen Geistes, die Welt zu formen wie auch immer er will. Und dass dieser Prozess einfach fortfährt, den niemals endenden Kreislauf des Leidens zu wiederholen.
Ich kann nun auch aus einer zen-buddhistischen Perspektive schreiben. Die erste der zehn Richtlinien der zen-buddhistischen Tradition ist NICHT TÖTEN. Worauf Brian Victoria uns in seinem Buch aufmerksam macht, sind die Schriften des verehrten Zen Meisters D. T. Suzuki. Zum Thema Zen, das Schwert und Töten schreibt Suzuki: „Das Schwert wird normalerweise mit dem Töten in Verbindung gebracht, weshalb sich die meisten von uns fragen werden, was es mit Zen zu tun hat, einer Schule des Buddhismus, der das Evangelium der Liebe und des Mitgefühls lehrt. Tatsache ist, dass die Schwertkunst zwischen dem Schwert, das tötet, und dem Schwert, das Leben schenkt, unterscheidet. Ein Schwert, das von jemandem geführt wird, der nur über rein technisches Können verfügt, vermag nichts anderes als zu töten, weil der Betreffende das Schwert nur ergreift, wenn er zu töten beabsichtigt. Völlig anders ist es bei einem Menschen, der das Schwert erhebt, weil er sich genötigt sieht, dies zu tun. In einem solchen Fall tötet nicht der Betreffende, sondern das Schwert selbst tut dies. Er hatte nicht vor, irgend jemandem zu schaden, doch der Feind taucht auf und macht sich selbst zum Opfer. Es ist, als würde das Schwert automatisch seine natürliche Aufgabe, der Gerechtigkeit zu dienen, erfüllen, was die Funktion des Erbarmens ist. … Wenn vom Schwert erwartet wird, dass es im menschlichen Leben diese Rolle spielt, ist es keine Selbstverteidigungs- oder Tötungswaffe mehr, und der Schwertkämpfer wird dann zu einem Künstler ersten Ranges, der sein Leben dem Bestreben widmet, ein Werk von echter Ursprünglichkeit zu schaffen.“
Hier wird uns ein sehr klares und dramatisches Beispiel für eine institutionalisierte Antwort auf die Vorschrift, nicht zu töten, gezeigt, auf die Lehre des Buddha von Liebe und Barmherzigkeit. Und wir sehen hier die Macht des intellektuellen Selbst, des intellektuellen Geistes, die Welt zu formen wie auch immer der es will; in diesem Fall, um die japanischen Kriegsanstrengungen zu unterstützen. Und wir können in den historischen Berichten über den Zweiten Weltkrieg leicht erkennen, wie der Prozess der intellektuellen Gymnastik einfach fortfährt, einen niemals endenden Zyklus des Leidens zu perpetuieren.
Ich habe immer nach einem Ausweg aus diesem Zyklus gesucht, und ich fand keinen in den ererbten religiösen Traditionen meiner Gesellschaft und Kultur, die für die Ideologie der Errettung eintreten. Die Ideologie, dass eine Wesenheit außerhalb meiner selbst mir auf meine Bitten hin meine Sünden vergeben werde, und dass ich immerwährende Errettung erfahren werde in irgendeiner utopischen Existenz irgendwann nach meinem Tod, wenn meine Reue aufrichtig sei, wobei die Natur dieser Aufrichtigkeit bestimmt ist durch die etablierten Regeln welcher speziellen Sekte auch immer, die für diese Doktrin eintritt.
Diese Einstellung ist nicht so verschieden vom institutionellen buddhistischen Glauben oder der Lehre von Verdiensten. Diese „Verdienste“ sind eine Art spiritueller Kompensation oder Belohnung, als Resultat verdienstvollen Handelns. Als Resultat angehäufter Verdienste wird man in seinem nächsten Leben in eine höhere Stellung geboren. Wenn du demnach Handlungen des Tötens begehen musst im Namen Gottes oder, im Fall Japans, im Dienst des Herrschers, so tötest du nicht wirklich, und deine Seele oder die Stellung, in die du hineingeboren wirst, wird nicht gefährdet.
Beides kann klar als Rationalisierung dafür verstanden werden, die notwendige Arbeit des Erwachens in diesem Leben nicht zu tun. Es nicht wagend, gegen den Strom zu schwimmen, wie der Buddha sagt, müssen wir, um zu erwachen, alles aufgeben, was gelehrt und gewusst wird als der Weg, vielleicht aus Angst und aus Greifen nach Macht und Stellung.
In meinem Bemühen, den endlosen Zyklus des Leidens zu transzendieren, lernte ich den Pfad des Friedens kennen durch die einfache Wahrheit in den grundlegenden Lehren des Buddha Shakyamuni. Diese Wahrheiten sind Wahrheiten, die ich schon immer gekannt hatte. Sie waren immer aus sich selbst heraus evident. Diese Wahrheiten besagen, dass die Menschen immer darauf bestehen, das Leben so zu sehen, wie sie möchten, dass es sei, und dann damit beginnen, Institutionen zu schaffen, die dieser Vision dienen, und dass diese Institutionen die Individuen nicht befreien, sondern sie im endlosen Zyklus des Leidens versklaven.
Als Lehrer der Kampfkünste glaubte ich die meiste Zeit an das Gute in dem, was ich tat, so ähnlich wie einer der Menschen, die Brian Victoria in seinem Buch erwähnt, die Person des Oberstleutnant Sugimoto Goro. Sugimoto repräsentierte das zen-militaristische Ideal. Oberstleutnant Sugimoto Goro gab sein Leben in Unterstützung der Illusion, und man sagt, er sei stehend gestorben, während ihm Blut aus dem Mund rann, gen Westen blickend deklamierte er: „Möge der Herrscher 10.000 Jahre leben.“ Als Resultat dieser Geschichte (ob Wahrheit oder Mythos, kann nicht herausgefunden werden) wurde Sugimoto zum Helden, zu einer institutionellen Ikone im Gegensatz zu dem Mönch Gudo, der zum Tode verurteilt wurde wegen seiner Opposition gegen das institutionelle Ideal. Seine Priesterschaft wurde ihm anlässlich seiner Exekution durch die Soto Zen Sekte entzogen.
Die Lehren des Buddha Shakyamuni und die Schlüsse, die wir, so hoffe ich, aus dem Geschenk ziehen können, welches Brian Victoria uns anbietet, ermöglichen uns, die Dysfunktion des institutionalisierten Buddhismus direkt in Frage zu stellen. Die Dysfunktion direkt in Frage zu stellen, die in buddhistischen Gemeinschaften existiert, die um Lehrer oder Individuen herum organisiert sind, die vorgeben, sie seien begabt oder erleuchtet, und zugleich die Begabungen dieser Lehrer zu erkennen. Lasst uns den Weg des Soto Zen Mönches Gudo gehen, dessen Geschichte Brian Victoria in Zen, Nationalismus und Krieg5 erzählt. Gudo war ein Schüler von Sakazume Kojo, Abt des Hojozi Tempels, und sprach sich gegen die repressive und expansionistische Politik der imperialen Regierung aus. Vieles von dem, was Gudo schrieb, wurde von der Regierung zerstört, die ihn auch für seine Gegenposition zu dieser Regierung hinrichtete. Brian Victoria teilt mit uns einiges aus den Schriften Gudos, die überdauert haben. Schriften, die schließlich zu seiner Verurteilung und Hinrichtung geführt haben. Gudos Überzeugung, dass „innerhalb des Dharma Gleichheit besteht, weshalb es keine Überlegenheit und keine Minderwertigkeit gibt“ , ein direktes Zitat aus dem Diamant-Sutra. Speziell dieses Zitat brachte ihn in direkten Konflikt mit einem der buddhistischen Führer jener Zeit, der über dasselbe Thema schrieb, jedoch, in Unterstützung der Regierung und ihrer Politik, behauptete, Unterscheidungen (seien) Gleichheit.
Die Frage, vor der wir heute stehen, ist die, vor der wir in jeder Zeit standen: KÖNNEN WIR ES WAGEN ANDERS ZU SEIN als die, die aufgrund der institutionellen Strukturen der organisierten Religion berühmt geworden sind, unbeschadet unserer Tradition. KÖNNEN WIR ES WAGEN DIE FREIHEIT VOM LEIDEN ZU SUCHEN, WELCHE UNS VON BUDDHA SHAKYAMUNI VERSPROCHEN WURDE, indem wir die vier noblen Wahrheiten umarmen und den achtfachen Pfad, oder kapitulieren wir, wie viele der prominenten Zen-Meister, die uns die Lehren überliefert haben, um eine institutionelle Position zu schützen, um die Illusion von Macht und Prestige zu schützen.
Brian Victoria schreibt: „Wenn es möglich ist, das Licht der Dharmaleuchte vom Meister zum Schüler zu übermitteln, dann ist es vielleicht auch möglich, die Dunkelheit zu übermitteln“. Ich möchte hinzufügen, dass dies eine Gewissheit ist. Und ich möchte die Frage stellen nach der ganzen institutionalisierten Bestätigung der Erleuchtungserfahrung (oder Kensho in japanischer Zen-Tradition), die so sehr gepriesen und gesucht wird in den Zen-Traditionen, die von Japan nach Amerika gebracht wurden. Ist es wirklich Erleuchtung, wenn sie verwendet wird wie ein Hochschuldiplom oder eine ähnliche Leistung, um den eigenen Studien innerhalb einer vorgegebenen Struktur Bedeutung und Prestige zu verleihen.
Brian Victoria spricht diesen Punkt in den Nachkriegsschriften von D. T. Suzuki an. „Da die heutigen Zen-Priester im allgemeinen nicht über Bildung und Wissen verfügen, sind sie nicht in der Lage, unabhängig über Dinge nachzudenken und ihre eigene unabhängige Meinung zum Ausdruck zu bringen. Dies ist eine große Schwäche.“ Brian Victoria schreibt dann: „Ein Resultat dieser „großen Schwäche“ sei die Kollaboration des Zen im Krieg gewesen, einschließlich der Verbreitung regierungskonformer Propaganda, allerdings auch das plötzliche Eintreten für Weltfrieden und die Demokratie unmittelbar nach Kriegsende. Nach Suzukis Ansicht >>wäre es gerechtfertigt, solche Priester als Kriminelle zu bezeichnen.“ Suzuki versäumt es hier zu erwähnen, dass er einer der vordersten unter diesen Priestern war.
Zur Frage der Erleuchtung dieser Priester schrieb D. T. Suzuki: „Mit satori (Erleuchtung) allein ist es (für Zen-Priester) unmöglich, ihrer Verantwortung als Führer der Gesellschaft gerecht zu werden. Und es ist nicht nur unmöglich, sondern es ist geradezu anmaßend von ihnen zu glauben, dies reiche aus. … In satori geht es um eine Welt des satori. Doch ist satori an sich nicht in der Lage, über die Berechtigtheit oder Nicht-Berechtigtkeit eines Krieges zu urteilen (oder über Richtig oder Falsch von irgendetwas). Bei Disputen in der gewöhnlichen Welt ist das intellektuelle Urteil unverzichtbar. Außerdem vermag satori auch nicht zu beurteilen, ob etwas gut oder schlecht ist.“ Ich füge hinzu, dass gesundes intellektuelles Urteilen nicht erlangt werden kann, wenn ein Individuum nicht in der Lage ist, das Leben selbst zu berühren, und wenn Vergiftungen aller Art und auf jeder Ebene dieses verhindern.
Die Macht von Rationalismus und Rechtfertigung ist immens, und Zen, Nationalismus und Krieg10 führt uns ein sehr klares Bild hiervon vor Augen. Mögen wir das Geschenk dieses Buches in unser alltägliches Leben mitnehmen, in die Natur unserer Gemeinschaft des Praktizierens, und mögen wir dieses Buch nutzen als ein weiteres Instrument zum Aufwachen!
Anmerkung der Übersetzerin: Das englische Original des Buches von Brian Victoria heißt: „Zen At War“ und ist 1997 bei Weatherhill, Inc.(USA) erschienen. Die zitierten Textstellen wurden hier der deutschen Übersetzung des Buches „Zen, Nationalismus und Krieg“ (erschienen im Theseus Verlag) entnommen.